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Ulrich Sander:
75 Jahre danach: Zur Machtübertragung an die Nazis und die Folgen
Vortrag von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, am 29. 01. 08 in der Gedenkstätte Ernst Thälmann - Hamburg
anlässlich der "Woche des Gedenkens" 2008
- Vorbemerkung
- Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler - 1932: Republik ohne Demokratie
- Man Plante: Die kontrollierte Beteiligung Hitlers an der Macht
- Papen: Bündnis mit der NSDAP
- Die Rolle der Schwerindustrie: auf Hitler setzen
- Die Diktatur wurde in Köln verabredet
- Hitler verspricht die "Ausrottung des Marxismus" und den Krieg
- Die Nazis liessen sich nicht zähmen
- Auch Heute: Rechte Politik ohne Nazis
- Der Grossangriff auf die Verfassung - auch mit Militär
- Die Bedeutung der Kampagne NoNPD
- Wir erforschen die Verbrechen der Wirtschaft 1933 - 1945
- Geschichtsfälschung mittels Tom Cruise / Staufenberg
- Zusammenhang von Kapital und Demokratieabbau
- Schlimmer als die Nazis sind die, die sie verursachen
- Nachbemerkung
1. Vorbemerkung
Wir gedenken der Opfer jenes Verhängnisses, das vor 75 Jahren seinen Lauf nahm, aber schon früher begann.
Es begann mit der nicht zuende geführten Novemberrevolution 1918/19, mit der tödlichen Spaltung der Arbeiterbewegung; mit der
Republik, der sich das Bürgertum verweigerte. Das Bündnis der rechten Sozialdemokratie mit den Freikorps, aus denen die Mörder
sowohl der "Bolschewisten" Liebknecht und Luxemburg hervorgingen wie die Mör-der der Republik insgesamt, es blockierte bis
zuletzt das Zusammengehen derer, die zur Verteidigung der Demokratie berufen und in der Lage gewesen wären. Wechselseitig sich
"Sozialfaschisten" und "rotlackierte Nazis" bezeichnend, sahen sie oft erst in den KZ und Zuchthäusern, dann im Krieg und an den
Massengräbern wohin es führt, wenn die Notwendigkeit zur Vernunft und Gemeinsamkeit nicht rechtzeitig erkannt wird.
Trotz vieler guter Ansätze konnten die richtigen Lehren auch nach 1945 nicht gezogen werden. Anders als die
Weimarer konnte die Bonner Republik die Linken entweder weitgehend zur Anpassung zwingen oder andererseits unterdrücken. Jahrelang
wurde die kommunistische Linke in der Bonner Republik sogar in die Illegalität getrieben. Gleichzeitig war der rechte Rand sehr
prägend. Der rechte Rand erweiterte sich zur Mitte. Hier gaben die alten Nazis vielfach den Ton an. Die Gewerkschaften stellten fest,
es seien in der Bundesrepublik nach 1945 die alten Besitz- und Machtverhältnisse wieder hergestellt worden. Jetzt haben wir die Berliner
Republik. Die Demokraten haben nach der Wende von 1990 vielfach eine andere Republik gewollt, indem sie eine neue Verfassung für
das neue Gesamtdeutschland anstrebten. Andere hielten es für vordringlich, die Reste des vorhandenen Grundgesetzes und sozialer
Standards zu verteidigen. Diese Aufgabe gilt auch heute: Es gilt, das Grundgesetz vor weiterem Verfassungsbruch zu schützen.
2. Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler - 1932: Republik ohne Demokratie
Es droht heute kein neues 33 mit Faschismus gehabter Prägung. Aber es droht ein Staat, wie er ebenfalls vor 33
bereits konzipiert wurde. Das war eine ultrarechte Diktatur, allerdings ohne Hitler. Vor allem ging es darum: Deutschland sollte wieder
Krieg führen können. Die Kommunisten warnten im Frühjahr 1932: "Wer Hindenburg wählt (er war Kandidat des Bürgertums und Sozialdemokratie)
wählt Hitler (Kandidat der äußersten Rechten)." Vor nunmehr 75 Jahren übertrug der kaiserliche Generalfeldmarschall und Präsident - nach
"langem Zögern" - Hitler die Macht.
3. Man Plante: Die kontrollierte Beteiligung Hitlers an der Macht
Schauen wir zurück. Der vor von Papen und Schleicher letzte Reichskanzler der Weimarer Republik, Heinrich Brüning vom
CDU-Vorläufer Zentrum, traf sich bereits im Oktober 1930 mit Hitler und schlug ihm vor: Die NSDAP solle "schärfere außenpolitische Opposition"
betreiben, zugleich aber "Verständigung im einzelnen über die Formen der Opposition" als "Voraussetzung für ein späteres Zusammengehen"
herbeiführen. Er, Brüning, wolle rüsten und eine Großmachtpolitik betreiben. "Das erste Land, das bereit wäre, alle unpopulären Opfer
nach innen auf sich zu nehmen, würde an die Spitze kommen." Hitlers Antwort bestand vor allem in der Forderung, "Frankreich als den
Erbfeind, Russland als den Hort des Bolschewismus sowie SPD und KPD zu vernichten." Brüning hatte nichts dagegen. Er sprach sich für
die Zusammenarbeit der NSDAP und des Zentrums in den Länderparlamenten aus, "um so die Brücken für die zweite Phase zu bilden." Als
Staatsform wollte Brüning an Stelle der maroden Demokratie von Weimar die Monarchie wieder einführen. (Siehe Emil Carlebach "Von Brüning
zu Hitler" Röderberg 1974) Hitler wollte selbst Diktator werden.
4. Papen: Bündnis mit der NSDAP
Die "zweite Phase", in der die NSDAP von der mächtigen Oppositionspartei zur mitregierenden Partei werden sollte,
leitete der Zentrumspolitiker Franz von Papen im Juli 1932 ein. Seine Absetzung der preußischen SPD-Regierung und die Auflösung des
Reichstages und Ersetzung der Parlamentsaufgaben durch Notverordnungen des monarchistischen Reichspräsidenten von Hindenburg sollte
eine ständisch und autoritär geprägte Regierungsform unter Ausschaltung der Parteien und Gewerkschaften einleiten. Aus einem Buch
über die "Hitler und die Herren an der Ruhr" von Gustav Luntowski. (Gustav Luntowski "Hitler und die Herren an der Ruhr - Wirtschaftsmacht
und Staatsmacht im Dritten Reich", 2000, Frankfurt/Genf): Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, hatten
sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammengeschlossen, die sich selbst als die "maßgebenden Herren der westlichen Industrie"
bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die "Ruhrlade". Mit ihr und ihrem "engeren Kreis", dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum,
Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Luntowski befasst. Für sein Buch konnte
aus bisher ungenutzten Quellen geschöpft werden, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade. Fazit: Man könne nicht umhin
festzustellen, dass "eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem" nicht zu verneinen sei.
Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.
5. Die Rolle der Schwerindustrie: auf Hitler setzen
"Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe", so forderte es Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit
Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt. Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten
an, hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates zur "vornehmsten Aufgabe
des Blattes" die Pflege des "nationalen Gedankens". Seine Weisungen enthielten "die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen
Positionen" (so Luntowski), als da waren: "Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß
Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von Versailles' und der ,Kriegsschuldlüge', Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision
der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit
des Privateigentums usf.". Ähnliche Töne hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen, wo er der Wirtschaft sein
Programm erläutern durfte. Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe vom Nov. 1932 an Reichspräsident
Hindenburg zugunsten Hitlers (mit der Forderung, "den Führer der größten nationalen Gruppe" zum Reichskanzler zu machen) sei ohne Wirkung geblieben,
in Wirklichkeit habe die Industrie auf von Papen gesetzt, und erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten
eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne
Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe der Wirtschaft bereit. Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen
von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, vom Autarkieangebot der IG. Die Gelsenkirchener Bergwerks AG lag den Nazis sehr am Herzen - auch
wegen Hauptaktionär Flick. Der Ehrenvorsitzende dieses Konzerns, Emil Kirdorf, hatte im Frühjahr 1931 durchgesetzt, dass zeitweise die im
Rheinisch-Westfälischen Steinkohlensyndikat zusammengeschlossenen Bergwerksbesitzer von jeder verkauften Tonne Steinkohle fünf Pfennig an
den Wahlfonds der NSDAP abführten. Auch die Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen,
wurde von Kirdorf, Reusch und Co. begeistert aufgenommen. Auf die "nationalsozialistischen Wirtschaftsideen" mit all ihrer antikapitalistischen
Demagogie mussten sie jedoch noch mit "Vernunft" Einfluss nehmen. Reusch, Schacht und Vögler vereinbarten 1932, "erprobte Herren" einzustellen
und zu bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis "zu formen". Dabei wussten die drei Herren nicht, dass Hitler bereits ein Jahr zuvor
den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre "wirtschaftspolitischen Anschauungen"
auf die NSDAP wirken zu lassen. Dies musste geschehen, ohne dass die NSDAP ihren Masseneinfluss einbüßte. Hitler schien in der Lage zu sein,
eine Politik gegen die Bevölkerung mit Zustimmung großer Teile der Bevölkerung und der Eliten zu verbinden.
6. Die Diktatur wurde in Köln verabredet
Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem "Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen in Rheinland und Westfalen" (Langnamverein) konstatiert worden, "dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig
unter welchen Umständen, wünscht". (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80) Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit
1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: "Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr
von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten
und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte
bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS."
Am 30. Januar 1933 wurde dann der Führer der Nazipartei an die Macht geschoben. Seinem Kabinett gehörten nur drei Nazis, ansonsten nur
Herren aus den konservativen, adligen und militärischen Eliten an. Und es gehörten ihm zwei Parteien an: die NSDAP und die DNVP (die
rechtskonservative Deutsch-Nationale Volkspartei mit dem Medienkönig Alfred Hugenberg als Vorsitzendem). Am 1. Februar 1933 löst
Reichspräsident v. Hindenburg entsprechend dem Auftrag der Hitlerregierung den Reichstag auf. Am 2. Februar werden der Sitz der
Reichs- und der Bezirksleitungen der KPD von der Polizei besetzt. Der Terror gegen die Arbeiterbewegung beginnt.
7. Hitler verspricht die "Ausrottung des Marxismus" und den Krieg
Als eine der ersten Amtshandlungen begibt sich Hitler am 3. Februar zu den Befehlshabern des Heeres und der Marine
im Heeresamt, dem Bendlerblock in Berlin. Als Hauptaufgabe der faschistischen Diktatur bezeichnet dort Hitler die "Ausrottung des
Marxismus", den "Kampf gegen Versailles" und als wichtigste Voraussetzung für die "Eroberung neuen Lebensraumes im Osten" die
"Stärkung des Wehrwillens mit allen Mitteln" sowie den Aufbau der Wehrmacht und die Schaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Die
Militärs stimmen zu. Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der
Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt Hitler: "Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl.
Sie mag ausgehen wie sie will [...] Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen [...]
oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert [...]" Weiter Hitler: "Innere
Ruhe gibt es nicht eher, als bis der Marxismus erle-digt ist. Hier liegt die Entscheidung, der wir entgegen gehen müssen und ist der
Kampf auch noch so schwer." (zitiert nach: Hallgarten/Radkau "Deutsche Industrie und Politik", Reinbek/Hamburg 1981) Nach dieser
offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf
der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: "Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren
Wahlen. [...] Ermöglichung der Kapitalbildung. [...] Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten." Die Aufrüstung,
die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen "Lebensraums" konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen
Menschen, die nach Kriegsbeginn "ins Reich" geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß
für alles eine Entschuldigung: "Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer
Unternehmen bestimmt gewesen zu sein." Diese "Fortexistenz" des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.
8. Die Nazis liessen sich nicht zähmen
Von Papen hatte also gemeinsam mit den Vertretern von Industrie und Banken dem NSDAP-Führer den Weg zur Macht bereitet.
Allerdings glaubte er, als Vizekanzler in einer Koalitionsregierung, bestehend aus acht Konservativen und drei Nazis, Hitler "zähmen"
zu können. Hitler errichtete aber die Alleinherrschaft der Nazis. Der Beginn dieser Alleinherrschaft wird zumeist exakt mit dem 30. Januar
1933 terminiert. Zur Republik von Weimar und zum Faschismus im Deutschland jener Zeit gehörte aber auch die Konkurrenz und Rivalität
verschiedener Strömungen im ultrarechten Spektrum, ja sogar in der Nazibewegung. Dieser reaktionäre Pluralismus stand ebenfalls am Ende
der Republik und überlebte es nur kurz. Die hohen Militärs, die Banken und die Großindustrie haben lange geschwankt, welchem der Zweige
des Nazismus sie sich zuwenden sollten. Die allen Nazis und Völkischen eigene rassistische Ideologie und expansive Militanz hat sie nicht
gestört, sondern angezogen. Aber die antikapitalistische Demagogie und der Drang zu Parteiarmeen und -milizen abseits der Reichswehr störte
sie durchaus. Diese waren bei allen Nazigruppen unter-schiedlich ausgeprägt. Der ultrarechte Strömungskampf endete Ende Juni 1934 mit jenen
Vorgängen, die man Röhm-Putsch nennt, die aber ein Hitler-Putsch gegen die SA, gegen Teile der Konservativen waren, gegen alle, die
Vorstellungen von eigener Herrschaft hatten.
9. Auch Heute: Rechte Politik ohne Nazis
Wir müssen uns heute faschistische Politik oder doch hochgradig autoritäre Politik von rechten Regierenden vorstellen
können, die in Koalitionen eingebunden sind. Diese Vorstellung fällt nicht schwer, wenn wir uns Roland Kochs Wahlkampf und Schäubles
Sicherheitspolitik ansehen. Eine solche Politik birgt die Gefahr des Umschwungs in profaschistische Regierungsformen, sie kann aber
auch in kontrollierter Form auftreten. Denn von den Nazis geht heute weniger die Gefahr aus, die faschistische Macht zu ergreifen,
sondern die Politik mit zu bestimmen. Wenn wir nicht die "Ausländerkriminalität" bekämpfen, sagt Altkanzler Kohl, "dann nehmen sich
die Rechtsradikalen der Sache an." (SZ lt. AP 22.1.08) Die NPD beklagt sich, dass die CDU ihr die Themen wegnimmt - und freut sich
zugleich in Erklärungen, dass endlich etwas im Sinne ihrer Politik geschieht. Zugleich wird erkennbar, was gemeint ist, wenn die Mitte
sagt: Wir dürfen die NPD nicht verbieten, sondern wir müssen uns mit ihr politisch auseinandersetzen. Das bedeutet: Wir müssen ihre
Forderungen erfüllen, wir müssen teilweise so werden wie sie. Bekanntlich wurde das Asylrecht im Grundgesetz von SPD, FDP und Union
erheblich beschränkt, mit einer Formulierung der sog. Republikaner. Eine wichtige antifaschistische Errungenschaft wurde beseitigt.
Der Asylbeschluß (GG-Änderung 28.6.93) bescherte uns wieder Lager und massenhafte Abschiebung. Wenige Tage nach dem schwarzen Tag von
Bonn fühlten sich rassistische Verbrecher ermutigt, in Solingen fünf Menschen zu verbrennen, weil sie Nichtdeutsche waren. Auch jetzt
gilt: Nazis sind weiter auf dem Vormarsch. Man kann Nazis nicht mit einer Kopie ihrer Politik bekämpfen, sondern nur mit entschlossener
Verteidigung der Demokratie und der Verfassung.
10. Der Grossangriff auf die Verfassung - auch mit Militär
Zur Zeit erleben wir jedoch einen Großangriff auf die Verfassung. Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg setzte
die Mahnung in die Welt, keine antifaschistische Kapitalismuskritik zu betreiben, das wäre verfassungsfeindlich. Zu einem Text von mir:
Darin "werden die Überlegungen des deutschen Innenministers zum besseren Schutz der Bevölkerung gegen terroristische Gefahren als
"Schäubles extrem rechter Katalog, - er macht jedem faschistischen Umsturzplan alle Ehre -" kommentiert. Die "Gefahr einer Rechtsentwicklung"
in Deutschland, so SANDER, sei offensichtlich und durch zwei Merkmale gekennzeichnet:
- "Anwachsen des Neofaschismus, Duldung und Förderung der Neonazis als mögliche gesellschaftliche Reserve durch
den Staat einerseits und
- Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates
andererseits."
Sodann wird mir und der VVN-BdA vorgeworfen, dass wir allein in der Abschaffung des Kapitalismus die Möglichkeit der Abschaffung des
Faschismus sähen. Das ist natürlich Quatsch. Es geht um breiteste Bündnisse, um den Faschismus zu bekämpfen und nicht um Revolution.
Allerdings erinnern wir daran, dass die ökonomischen Eliten eine erhebliche Mitschuld am NS-Regime und am Krieg trugen und dass sie
heute wieder in vorderster Front gegen die Demokratie wirken.
11. Die Bedeutung der Kampagne NoNPD
Die Kampagne NoNPD stößt auf große Zustimmung. Die angestrebte Zahl der Unterschriften wurde erheblich übertroffen.
Viele Menschen spüren, hier kann ich mich wehren und ich muss nicht hilflos zusehen, wie Behörden die NPD und ihre Kameradschaften
gewähren lassen. Wenn es schwierig erscheint, die NPD zu verbieten und nachhaltig auch jede Nachfolgeorganisation auszuschalten, so
hängt es vor allem mit den vielen gemeinsamen politisch-inhaltlichen Schnittmengen zusammen, die bei Nazis wie bei bürgerlichen Politikern
bestehen. Würde die NPD verboten, so würden auch viele extreme politische Positionen von Konservativen tabuisiert sein und ihre Verwirklichung
nachhaltig behindert, als da beispielsweise sind:
- Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in Lager
- gezielte Tötungen von Regimegegnern
- Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze Ausländergruppen
- Beseitigung des verfassungsmäßig nicht veränderbaren Artikels 1 des Grundgesetzes(Unantastbarkeit der Menschenwürde)
- Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen (geheime Onlinedurchsuchung)
- Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstranten
- umfassende Bespitzelung der Bürger durch zusammengelegte Polizeien und Geheimdienste (Rasterfahndung)
Das eben Zitierte ist Schäubles extrem rechter Katalog, ausgebreitet im "Spiegel" vom 9.7.07. Er macht jedem faschistischen
Umsturzplan alle Ehre, sagte ich dazu. Dazu stehe ich. Merkel ermutigt Schäuble: Keine Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Ein Zurückpfeifen
Schäubles ist das nicht. KZ, Foltergeständnisse (eine weitere Forderung Schäubles) und Todesschuss für Andersdenkende - das hatten wir zuletzt
in Nazideutschland. Merkel sagt: Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von gestern". Um zum Vorgestern zurückzukehren. Nun
also wieder Krieg nach außen und innen. Merkels Partei nennt es in ihren Dokumenten "Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang".
Ein Verbot der NPD und ihrer Programmatik wäre ein wichtiger Sieg für die Demokratie. Es wäre ein Sieg auch gegen eine Willkürherrschaft a la
Schäuble. Deshalb ist ein Erfolg der NoNPD-Kampagne der VVN-BdA so notwendig.
12. Wir erforschen die Verbrechen der Wirtschaft 1933 - 1945
Wir starten dies als eine neue Kampagne - zumindest hier in NRW. Die WAZ und die WR berichteten: Eine Rallye "Spurensuche
Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945" will die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) aus Anlass des 75. Jahrestages der
Machtübertragung an Hitler auf den Weg bringen. Der NRW-Landesverband will eine Dokumentation über diese Verbrechen an Rhein, Ruhr und
Lippe erstellen. Antifa- und Jugendgruppen sowie Schülerinnen und Schüler sollen aufgerufen werden, vor Ort die Informationen über die
Täter zu sammeln und zusammenzutragen, um sie von der VVN-BdA veröffentlichen zu lassen. Daraus könnten Schriften oder auch Exponate
entstehen.
13. Geschichtsfälschung mittels Tom Cruise / Staufenberg
Das bürgerliche Spektrum versucht derzeit verzweifelt, seine verhängnisvolle Rolle beim Zustandekommen des Faschismus
an der Macht und am Krieg wie am Holocaust zu kaschieren. Dies geschieht mit solchen Personen wie Stauffenberg. Der FAZ-Schreiber
Schirrmacher meinte zu dem Film "Valkyrie" oder "Operation Walküre" mit dem Scientologie-Aktivisten Tom Cruise: "Dieser Film wird [...]
das historische Bild Deutschlands in vielen Ländern prägen." Es geht um ein Wehrmachtsbild ohne Hitler, aber auch um ein Deutschlandbild
ohne Antifaschisten und Antimilitaristen - daher Stauffenberg als Ikone des "heiligen Deutschland", - so der letzte Ruf Stauffenberg /
Cruises, des starken kriegführenden Deutschland. Und der Stauffenbergdarsteller bekommt dann schon mal den "Bambi" des Burda-Verlags -
für Tapferkeit. Er sei so tapfer wie der, den er darstellt, dann er verkörpere den tapferen "sauberen" Deutschen. Erinnert sei jedoch
an Briefe Stauffenbergs, in denen er die Bevölkerung Polens als "Pöbel" bezeichnete, ein Volk das aus "sehr vielen Juden und sehr viel
Mischvolk" bestehe. "Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt." Zu all dem passt, dass Stauffenberg 1933 die Machtübertragung
an Hitler begrüßte. Der 1934 in die USA emigrierte Philosoph Max Horkheimer, später Frankfurter Schule, sagte es so: "Wer aber vom Kapitalismus
nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen." Horkheimer ein Verfassungsfeind?
14. Zusammenhang von Kapital und Demokratieabbau
Doch den inneren Zusammenhang zwischen Großkapital, Konzernen und der äußersten Rechten - auch der Militaristen - zu
erkennen - und diesen auch zu begreifen -, das ist die historische Erfahrung der Gründer der VVN. Sie gilt, auch unter den Vorzeichen
des "Neoliberalismus". Der ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute einflussreiche Michael Rogowski erklärte, als wolle er den
Gesprächsfaden vom Industrie-Club 1932 wieder aufnehmen:
- Der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Er forderte "eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr
zur Modernisierung der Bundeswehr". Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seine Stimme zu erheben",
wenn es um internationale Entscheidungen gehe", monierte der BDI-Präsident. Und das Bundeswehr-Weißbuch von 2006 sieht ja die Erlangung
von Rohstoffen und das Freikämpfen von Handelswegen auch als militärisches Ziel vor - ganz wie schon vor 1933 konzipiert.
- Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS. Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht überbewertet
werden. ("Freie Presse", Chemnitz, 20.09.2004)
- Die Nazi-Losung "Volksgemeinschaft statt Klassenkampf" verinnerlichte auch Rogowski auf seine Weise. Er sagte: "Am 9.
November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden
demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist."
(am 16.12.2004 in TV Phönix lt. Wikipedia)
15. Schlimmer als die Nazis sind die, die sie verursachen
Der unvergessene Peter Gingold hat gesagt: Noch schlimmer als die Existenz von Nazis in unserem Land, ist die Existenz
von Politikern, die die Nazis gewähren lassen, ja sie verursachen. Ja, sprechen wir über den heutigen Konservativismus - der ist das was
uns am meisten beunruhigen muß. Die Koch, Milbrad, Merkel, Stoiber haben sich über Mügeln nicht sehr beunruhigt, als jetzt aber ein
Türke einen deutschen Rentner brutal schlug und verletzte, da kamen bald alle Muslime unter Verdacht, so zu denken und bei Gelegenheit
auch so zu handeln. Die FAZ schrieb, dass eine "Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus" vorliegt, und dies sei
"potentiell das ( ), was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt." Sehr schnell wird gefordert,
das Schimpfwort "Scheißdeutscher" als Volksverhetzung einzustufen. (So CDU-Minister aus Hamburg, Baden-Württemberg und Brandenburg am
19.1.08) Das war aber nicht denkbar, als gefordert wurde, "Ausländer raus" als Volksverhetzung einzustufen. Von höchsten Richtern
und Politikern ermuntert, belassen es die Nazis nicht bei Flugblättern, um "Ausländer raus" Nachdruck zu verschaffen. Seit Jahren greifen
sie auch zum Terror. Wie jetzt wieder in Sachsen, Sachsen-Anhalt, aber auch in Dortmund und anderswo im Westen. Wollen wir die richtigen
Lehren aus der Vergangenheit ziehen, dann haben wir die Kampagne NoNPD fortzusetzen, aber auch eine Kampagne NoSchäuble, NoKoch, NoJung,
hinzuzufügen. Und zugleich die Verbrechen der Wirtschaft von 1933 bis 1945 aufzuzeigen, damit sie sich nie wiederholen. Zu diesen
Verbrechen gehört es, Krieg zu führen.
Die Gründer der VVN traten bereits 1932 der faschistischen Gefahr mit der Losung entgegen: "Wer Hindenburg wählt,
wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Als wollte die heutige Kanzlerin vor ihrer Wahl vor sich selber warnen - wer mich
wählt, wählt den Krieg - sagte sie in ihrer Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2004: "Um die Politik anderer Nationen zu
beeinflussen, um den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen werden, von freundlichen
Worten bis zu Marschflugkörpern." Der Krieg ist kein Tabu mehr. Seit 1999 wird von Kriegstreibern behauptet, man müsse Krieg führen, um
ein Auschwitz nicht wieder zuzulassen. Es gilt jedoch: Auschwitz wurde durch Krieg möglich. Die Verpflichtung "Nie wieder Krieg - nie
wieder Faschismus" mit ihren beiden Seiten ist wiederherzustellen. Das Völkerrecht verbietet entsprechend der UNO-Charta Artikel 53 und
107 Deutschland das Kriegführen. Das Grundgesetz mit seinem Verbot der Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen (Artikel 26) und das
Völkerrecht sind zu verteidigen und anzuwenden.
16. Nachbemerkung
Nach dem 27. und 30. Januar Die rechten Eliten damals und heute / Von Ulrich Sander (Gastbeitrag für die Zeitung UNSERE
ZEIT) Am 30. Januar jährte sich zum 75. Mal der Beginn der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Wenige Tage vorher begingen wir
den Gedenktag 27. Januar, denn an diesem Tag vor 63 Jahren hat die Rote Armee die noch überlebenden Häftlinge des Vernichtungslagers
Auschwitz befreit. Beide geschichtliche Tage werden hierzulande von offizieller Seite nicht richtig ernst genommen. Sonst könnte es
nicht geschehen, dass in Großstädten am 27. Januar Faschingsumzüge stattfinden. Roland Koch dachte gar, er könnte an diesem Tag erneut
mit einer rassistischen Kampagne zum hessischen Ministerpräsidenten gewählt werden. Das ging schief. Ob sich die Zusammensetzung der
Stammtische mit den neuen Nichtraucherschutzbestimmungen verändert hat? Nicht verändert hat sich die Politik der Kanzlerinnenpartei.
Die hat sich hinter Roland Koch und auch die grundgesetzfeindlichen Pläne von Überwachungsstaatsminister Schäuble und Kriegsminister
Jung gestellt. Und sie weigert sich, die NPD zu verbieten und sagt: Wir sollen uns mit ihr "politisch" auseinandersetzen. So wie Herr Koch,
indem die NPD kopiert wird? Verfassungsschutzämter ließen rechtzeitig zum 27. und 30. Januar vor dem "systemfeindlichen", weil
kapitalismuskritischen Antifaschismus warnen. Das kann aber nicht vergessliche Antifaschisten nicht davon abhalten, an beiden Tagen
auf die verhängnisvolle Politik des deutschen Konservatismus hinzuweisen, die von Leuten wie Koch wiederbelebt werden sollte. Der von
den Nazis und den heutigen Medien so genannte Tag der Machtergreifung vor 75 Jahren war ein Tag der Machtübertragung. Hitler hätte die
Macht nie erlangt, wenn sie ihm nicht von dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg auf Wunsch und Drängen der politischen und ökonomischen
Eliten übertragen worden wäre. Wer an den 27. Januar erinnert, muß stets den 30. Januar mitdenken, auch in Jahren, in denen dieser Tag sich
nicht rund jährt. In Auschwitz wurden am 27. Januar 1945 auch die Arbeiten am und im Buna / Benzin- und Gummi-Werk der IG Farben eingestellt.
30.000 Zwangarbeiter wurden dort durch Arbeit umgebracht; wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde vergast. Dies hatte eine Vorgeschichte,
die mit dem 30. Januar 1933 zusammenhängt. Die für den Angriffskrieg unabdingbare Autarkie der deutschen Wirtschaft - z.B. bei Öl und Gummi -
versprachen die IG Farben den Nazis schon im Herbst 1932. Die Industrie verdiente dann am Holocaust und am Krieg unermessliche Summen.
Wir gedenken in diesen Tagen nicht nur der Opfer, wir klagen auch die Täter und die Profiteure an.
Nichts und niemand ist vergessen.
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