Ewald Stiefvater:
40 Jahre Gedenkstätte Ernst Thälmann in ihrer Zeit
Auszüge aus dem Referat von Ewald Stiefvater, Mitglied des Kuratoriums der GET auf dem Wochenendseminar der Gedenkstätte
Ernst Thälmann, Hamburg, im November 2007 in Heideruh
- Vorbemerkung
- Mit wem haben wir es zu tun? Wer sind unsere Widersacher und Gegenüber?
- Wir stützen uns dabei auf unsere Ausstellung, Bibliothek, auf unsere Vorträge und Filmvorführungen.
- Was sollten wir besonders beachten und bei Besuchen hervorheben?
- Was waren Hauptgründe für Brutalität und Staatsterror gegen die KPD?
- Bei Besuchern in der GET sollten nie vergessen werden:
Hitler war das Werkzeug der
Finanz– und Konzernmacht in Deutschland.
- 1.800 Hamburger Antifaschisten wurden hingerichtet.
- Das Zeitfenster, in dem wir uns heute bewegen
- Die ersten 20 Jahre von 1949 bis 1969
- Die zweiten 20 Jahre von 1969 bis 1989
- Die letzten 20 Jahre von 1989 bis 2009
1. Vorbemerkung
Wir sind gewohnt, in historischen Zusammenhängen zu denken, und wissen: „Geschichte ist Geschehenes.“ Als
Menschen mit historischem Bewusstsein sehen wir das Werden und Entstehen der GET in der Kontinuität der Geschichte des deutschen
Imperialismus.
Insofern sehe ich in der GET zuerst eine hochpolitische Einrichtung – mit einer musealen Seite. Eine Einrichtung
im Interesse der Hamburger, besonders der Arbeiter, Gewerkschafter und Jugend. Ich möchte einen Gedanken von Wolfgang Runge anfügen:
Konzerne haben keinen Zugriff auf die GET. Wirtschaftlich, politisch und ideologisch sind wir vollkommen unabhängig von der herrschenden
Klasse. Bei uns regieren keine Wendehälse. Wir verschließen uns jedoch nicht neuen Erkenntnissen und erwarten das neue Buch von Eberhart
Czichon.
2. Mit wem haben wir es zu tun? Wer sind unsere Widersacher und Gegenüber?
Denkfabriken des Kapitals – in Verbindungen mit den Medien - produzieren stabsmäßig Geschichtslügen und Legenden,
„wissenschaftlich“ drapiert. Ein Netz antikommunistischer Lügen wird gesponnen – mit zunehmend aggressiver Tendenz. Horrorgeschichten
über die DDR werden produziert, in der Gedenkstättenarbeit werden Versuche unternommen, Faschismus und Kommunismus gleichzusetzen. Die
zynische Geschichtslüge von den zwei Diktaturen soll hier Eingang finden.
Im nächsten Jahr (2008) kommt ein neuer Film über Stauffenberg ins Kino. Die mutige Tat von Offizieren am 20. Juli
1944 gehört zum antifaschistischen Widerstand. Aber gab es den nur aus dem Kreis von Militärs? Kein Arbeiterwiderstand? Kein Widerstand
aus den Reihen der Kommunistischen Partei? Hier Wahrheit, Klarheit auf den Tisch zu bringen, ist unsere Aufgabe.
3. Wir stützen uns dabei auf unsere Ausstellung, Bibliothek, auf unsere Vorträge und
Filmvorführungen.
Hamburg ist immer noch die Stadt Ernst Thälmanns. Hamburger äußern sich durchweg positiv über uns. Besucher sagen
zum Beispiel: „Mein Vater hat Ernst Thälmann auf Versammlungen persönlich erlebt und hat begeistert von ihm erzählt.“
Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass ich als Kind anlässlich von
Erwerbslosen-Demonstrationen in Wedel gerufen habe: „Ernst Thälmann – der Retter der Erwerbslosen.“ Ich kann mir vorstellen, dass
andere meines Alters ähnliche Erinnerungen an den Vorsitzenden der KPD haben.
4. Was sollten wir besonders beachten und bei Besuchen hervorheben?
Ernst Thälmann war eine historische Persönlichkeit. Er war ein einfacher Hamburger Arbeiter, kam aus der Sozialdemokratie
und Gewerkschaftsbewegung und blieb nach dem Verrat der Sozialdemokratie 1914 (Zustimmung zu den Kriegskrediten) den revolutionären Ideen von
Karl Marx und Friedlich Engels treu bis zu seiner Ermordung durch die SS im August 1944 im KZ Buchenwald.
Ernst Thälmann galt nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im In - und Ausland als ein Garant für
die kommunistische Identität. Er hat vorgelebt, was zur kommunistischen Identität gehört, nämlich:
- unbedingte politische und geistige Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse
- Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft
- der Kampf gegen Militarismus und Krieg, gegen Nationalismus und Faschismus
- die Verteidigung aller demokratischen und sozialen Rechte der Menschen
- das Ringen um die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse und aller Ausgebeuteten für die Verteidigung ihrer
Interessen und für die Überwindung der Klassengesellschaft.
Als Vorsitzender der KPD hat er um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse gerungen und dies beispielsweise im
gemeinsamen Handeln von Sozialdemokraten und Kommunisten bei der Fürstenenteignung während der Weimarer Republik unter Beweis
gestellt. Seine Reden und sein Auftreten in der Hamburger Bürgerschaft und im Deutschen Reichstag gegen Militarismus und Rüstungspolitik,
gegen Demokratie - und Sozialabbau unterstreichen zudem, dass er frühzeitig vor einer schleichenden Gefahr des Revanchismus und Faschismus
gewarnt hat.
Thälmann hat auch Fehler begangen. Er hat 1928 die antileninistische Abweichung der Komintern mitgetragen. Aber er war
für kritische Hinweise offen und hat diese Abweichung später korrigiert und das Gespräch mit Sozialdemokraten gesucht und gefunden.
Dafür spricht u.a. auch der Vorschlag der KPD 1932 für eine antifaschistische Einheitsfront. Die Fehler derjenigen, die die Kommunisten zu
ihrem Hauptfeind erklärten wogen schwerer als die von Ernst Thälmann. Er verkörpert den Kampf der deutschen Kommunisten gegen Faschismus und
Krieg und prägte die Losung: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Und unter seinem Vorsitz errang die
KPD 1932 sechs Millionen Stimmen.
5. Was waren Hauptgründe für Brutalität und Staatsterror gegen die KPD?
Hauptinhalt des Kampfes der KPD unter Führung von Ernst Thälmann und seiner Kampfgefährten war der Massenkampf gegen
kapitalistische Ausbeutung, Faschismus und Krieg. Ihr zunehmender Einfluss vor 1933 und die schwindende Bindungskraft der bürgerlichen
Parteien verunsicherte zusehend die herrschende Klasse. Für sie stellte sich angesichts der Weltwirtschaftskrise die Frage: Hat der
Kapitalismus in den Augen der Massen abgewirtschaftet? Droht ein Untergang? (Diese Frage stellen sich die Herren der kleinen
Oberschicht übrigens immer. Besonders auch heute, wo die Klassengegensätze in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung spürbarer
und krasser werden).
Verkürzt gesagt folgendes: Anfang der 30er Jahre war die Basis des führenden Bürgertums im Volk schmaler geworden.
Es entstand die Frage nach der Befestigung des bürgerlichen Regimes. Da eine Militärdiktatur für das Regime als zu gefährlich und
riskant erschien, bedurfte es unbedingt der Bindung von Schichten an sie, die sozial nicht zur bürgerlichen Klasse gehören, die
ihr aber den unentbehrlichen Dienst leisten, ihre Herrschaft allein massenwirksam im Volk zu verankern. Ein solches Scharnier oder
ein solcher Grenzgänger stellte in der ersten Nachkriegsperiode die Sozialdemokratie dar. Durch die Spaltung der Arbeiterbewegung
konnte die SPD-Führung den revolutionären Ansturm der Nachkriegszeit in Partnerschaft und Anpassung an das System ummünzen. Diese
Ummünzung der Revolution in reine Sozialpolitik (weg von den Betrieben und der Straße – hinein in die allein seligmachenden Parlamente)
band ein Teil der Arbeiterschaft mit Haut und Haaren an den bürgerlichen Staat, mit all den Illusionen über den Kapitalismus.
Diese parlamentarischen Illusionen schmolzen mit Beginn der Krisensituation Ende der 20er und Anfang 1930 dahin.
Massenabbau von erkämpften sozialen Errungenschaften, hohe Arbeitslosigkeit, Armut auf der einen Seite und enormer Luxus, Prasserei
und Reichtum auf der anderen Seite führten zum Verlust des Ansehens der Massen bei den bürgerlichen Parteien. Aber auch Stimmenverluste
der SPD bei Wahlen wurden größer. Wichtige Stützen für das Weiterregieren brachen weg. Die soziale Basis des Kapitals mit Schichten,
die nicht zu ihr gehörten, wurde also enger. (Kommen uns heute solche Verhältnisse nicht bekannt vor?)
Zugleich erstarkten damals die Kommunisten. In Berlin wurde die KPD zur stärksten Partei. Auch diese Umstände waren
für Finanzspitzen Gründe zur frühzeitigen Hinwendung und Unterstützung der Faschisten. Antikapitalistische Demagogie der Nazis fungierte
als neuer Mechanismus zur Spaltung der werktätigen Klasse. Die Faschisten wurden zur sozialen Hausmacht des Finanz- und Rüstungskapitals.
Ihre Verfassung: „ein Volk – ein Reich – ein Führer“ führte zur Ausschaltung aller revolutionären und demokratischen Kräfte.
Brutale Verfolgung der Kommunisten setzte ein. Ernst Thälmann war übrigens der einzige Parteiführer, der von den Faschisten
nach langer und qualvoller Haft ermordet wurde. Mit der Errichtung des Faschismus war eine kapitalistische Macht etabliert für
wirtschaftliche und militärische Expansion nach außen und Niederhaltung sozialistischer und demokratischer Kräfte im Innern.
6. Bei Besuchern in der GET sollten nie vergessen werden: Hitler war das Werkzeug
der Finanz– und Konzernmacht in Deutschland.
Bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 haben die Nazis im Verhältnis zu den Juli-Wahlen 1932 mehr als 2 Millionen
Stimmen verloren. Das veranlasste führende Vertreter des Finanz- und Rüstungskapitals wenige Tage nach der Wahl, Reichspräsidenten
Hindenburg in einem Memorandum aufzufordern, Hitler zum Reichskanzler zu berufen. (Eine Kopie des Dokuments gehört zum Bestand unserer
Ausstellung). Es trat ein, was Ernst Thälmann voraussah. Hitlers Reden vor den Finanz –und Konzernmächtigen und vor der Reichswehrgeneralität
im Januar und Februar 1933, wo er die „Vernichtung des Marxismus“ als sein erklärtes Ziel proklamierte, wurden begeistert aufgenommen.
Der provokative Reichstagsbrand und die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz im März 1933 waren die nächsten Schritte zur Erhaltung
der Konzernmacht. Übrigens: Alle bürgerlichen Abgeordneten stimmten im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz zu. Darunter auch Theodor
Heuss, der spätere erste Präsident der Bundesrepublik. Das Gesetz war eine weitere Stufe zur Aushebelung der Weimarer Verfassung ,
die Sozialdemokraten stimmten dagegen. Die Kommunisten waren widerrechtlich von der Wahl ausgeschlossen und ihre am 5.März gewählten
Abgeordneten waren zum Teil ermordet und verhaftet. Bei den Terrorwahlen zum Reichstag am 5. März 1933 erhielten die Nazis zwar
erheblichen Stimmenzuwachs, aber nicht die Mehrheit. 43,9 % erhielten sie im Reich, in Berlin 34 %, in der Innenstadt von Berlin
nur 31 % der Stimmen, dort, wo vorwiegend Arbeiter wohnten.
Arbeiter haben sich in großer Zahl von den Nazis nicht korrumpieren lassen. Von Anfang an gab es organisierten
Widerstand aus der Arbeiterbewegung – vor allem aus den Reihen der Kommunistischen Partei, der SPD und Gewerkschaften. Nach Günter
Weisenborn waren bis 1939 rund 1 Millionen Menschen aus den Reihen der Arbeiterschaft in Gefängnissen, Zuchthäusern oder KZ gewesen.
Nach einer Erhebung der VVN aus dem Jahre 1948 waren 8.000 Kommunisten in Hamburg bis 1939 in Gefängnissen, Zuchthäusern
und KZ. In Berlin und anderen Städten finden sich ähnlich hohe Zahlen.
7. 1.800 Hamburger Antifaschisten wurden hingerichtet.
Die Verfolgung kommunistischer Arbeiter und Widerstandskämpfer war besonders grausam und gnadenlos. Gerade
die Kommunisten entrichteten einen hohen Blutzoll. Von 300.000 Mitgliedern wurde fast jeder zweite inhaftiert, etwa 35.000
Kommunisten wurden umgebracht. Für Kommunisten gab es keine Gnade, nur Hass und Vernichtung. Das war die Devise bei der
Behandlung von Kommunisten und das hatten SS- und die Gestapoleute bis zum FF verinnerlicht. Oft kam es vor, dass die Gestapo
sich weigerte, die Leichname der ermordeten Kommunisten an die Angehörigen zur Bestattung freizugeben. Die Begründung der
Gestapo: „Es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass mit den Leichen der … Hingerichteten Hoch- und Landesverräter
irgendein Kult getrieben wird bzw. Märtyrerfriedhöfe geschaffen werden.“ Die Leichen wurden in solchen Fällen anatomischen
Instituten überwiesen.
Worauf sollten wir noch achten?
Wir sollten bei Gruppenführungen den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 und die Verhaftung von Ernst
Thälmann und Kampfgefährten am 3. März 1933 herausstellen. In diesem Zusammenhang sollten wir auf Aktivitäten von Heinrich
und Thomas Mann eingehen, z.B. Heinrich Manns Solidaritätskampagne zur Freiheit von Ernst Thälmann. Und von Thomas Mann ist
erst kürzlich ein Brief (datiert 26.10.1933) in der FAZ veröffentlicht worden, den er an den Journalisten Kiefer zum
Reichstagsbrandprozess schrieb. Darin heißt es: „Verfolgen Sie den Leipziger Prozess … Welch ein Morast, welch ein Menetekel.
Es hat gerade im Augenblick den Anschein, als ob sich da das schauerlichste Justizverbrechen der Geschichte vorbereitete. Alles
Schändliche und Scheußliche des deutschen Zustandes sammelt sich in diesem Prozess …“ Wie Recht er hatte. Und 11 Jahre später –
1944 – schrieb Thomas Mann in einer amerikanischen Zeitschrift nach der Ermordung der Geschwister Scholl: „Was zerstört werden
sollte ist die verhängnisvolle Macht-Verbindung, die weltbedrohende Vereinigung von Junkern, Generalen und Schwerindustrie. Dem
deutschen Volk sollte geholfen werden, die Herrschaft dieser Gruppen für immer zu zerstören …“
Jugendliche Besucher fragen manchmal: Was bedeutet eigentlich Widerstand und illegale Arbeit? Viele wissen
das nicht. Wir müssen uns dazu detaillierter öffnen:
Widerstand bestand überwiegend darin, im Geheimen und verdeckt politische Arbeit zu tun, die Organisationen
aufrecht zu erhalten, geheime Leitungssitzungen konspirativ vorzubereiten, abzusichern und durchzuführen. Fälschen von Ausweisen,
Abfassen und Verbreiten antifaschistischer Schriften, besonders in Großbetrieben, sind notwendige Schritte in der Illegalität.
Drucken von Flugblättern, (in der Gedenkstätte haben wir eine alte Abziehmaschine), Geldsammlungen zur Unterstützung der Familien
von Inhaftierten, Fluchthilfe für Bedrohte, Übermittlung von Nachrichten über die Zustände im Faschismus, Knüpfen neuer Verbindungen
zu Gleichgesinnten usw. gehörten ebenso dazu. Zum Widerstand gehört auch, dass über hundert Antifaschisten, vorwiegend Kommunisten
und Sozialdemokraten aus Hamburg den spanischen Freiheitskämpfern gegen Franco im Jahre 1936 zur Hilfe eilten – alles unter Einhaltung
strenger illegaler Wege.
In diesem Zusammenhang ist meines Erachtens besonders die Solidarität der illegalen Führung der KPD mit den
verfolgten jüdischen Mitbürgern zu erwähnen. Nur von der KPD existiert ein offizielles Dokument, das die Judenpogrome der Nazis
im November 1938 scharf verurteilt und zur Solidarität mit den Opfern aufruft.
In den Kriegsjahren waren angesagt: Kontakte zu Soldaten usw. herstellen, Sabotage, Verbindungen zu Zwangsarbeitern
und Kriegsgefangenen, Abwehr vor Spitzeln, Wachsamkeit, Abhören von ausländischen Sendern usw. Das bedeutete vor allem: Mit viel
Geschick und List den brutalen Verfolgungsapparat der Faschisten zu überlisten.
Widerstand gab es auch im KZ: Willi Bleicher, der spätere Bezirksleiter der IG-Metall von Baden-Württemberg
hat aus Anlass der Ermordung Ernst Thälmanns 1944 im KZ Buchenwald eine Gedenkfeier für Ernst Thälmann organisiert und dafür
schwerste Repressalien der SS erdulden müssen. Besucher aus den Reihen der Gewerkschaften sind für solche Informationen und
Hinweise über den Arbeiterwiderstand dankbar.
Zusammenfassend ist zu der GET zu sagen: Sie gibt Antwort auf die gesellschaftlichen Ursachen von Massenarbeitslosigkeit,
Hungerlöhnen, von Faschismus und Krieg. Und sie belegt durch Zeugnisse, dass Sozialismus und Frieden eine Einheit sind.
Erinnerungen verändern sich mit der Zeit. Das weiß jeder. Hier bei uns werden keine Gerüchte, Geschichtchen, sondern
tatsächliches Geschehen dokumentiert.
8. Das Zeitfenster, in dem wir uns heute bewegen
Ausgehend von diesen Überlegungen möchte ich die 40-jährige Existenz unserer Gedenkstätte – grob gesehen – in
drei historische Zeitabschnitte des vergangenen Jahrhunderts einbetten. Ein Jahrhundert übrigens, das ein politisches Schwergewicht
in der deutschen und europäischen Geschichte war: Zwei Weltkriege, 12 Jahre deutscher Faschismus, 70 Jahre realer Sozialismus,
davon 40 Jahre auf deutschem Boden. In der DDR war dem deutschen Groß- und Rüstungskapital die ökonomische und politische Macht
genommen worden.
9. Die ersten 20 Jahre von 1949 bis 1969
Zur Biographie der GET gehört, dass ihre Geburtswehen 20 Jahre gedauert haben. Dass wir nicht gleich nach der
Niederlage des Faschismus 1945 das Licht der Welt erblickten, hängt damit zusammen, dass bei uns keine grundlegende Umwälzung
jener gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgte, die zu Faschismus und Krieg führten. Die Mörder von Ernst Thälmann und Kampfgefährten
wirkten nach 1945 weiter. Mit Hilfe der imperialistischen Westmächte wurde die Konzern- und Bankenmacht wieder aufgebaut und die
neu entstandene BRD zum Bollwerk gegen den Kommunismus aufgestellt.
Bereits in den letzten Kriegswochen und Tagen gab es Versuche prominenter Nazis, im Geheimen zu testen, „gemeinsam
mit dem Westen bis zur letzten Patrone gegen den Bolschewismus weiter zu kämpfen.“ Himmler zum Beispiel unternahm im Frühjahr
1945 solch einen Versuch. Die Völker der Welt haben diese abenteuerlichen Pläne unmöglich gemacht. Und Gehlens Geheim-Organisation
„Fremde Heere Ost“ wirkte mit seinen Geheimakten im Auftrage der Amerikaner weiter und diente später der Adenauer-Regierung.
Nach 1945: SS- und hohe Gestapoleute übernahmen nach einer kurzen Pause wieder höchste Kommandostellen im Staatsapparat.
Ob im Polizei-, Justiz- oder Militärapparat, überall wirkten blutbefleckte Nazitäter. Sie bedienten Schaltzentralen in Exekutivorganen
und bildeten entsprechenden Nachwuchs aus. Ein Teil dieses Nachwuchses mit antikommunistischer Grundausstattung wurde nach 1989
in die DDR abkommandiert.
Der Kalte Krieg begann nach 1945 sehr früh.
Noch während der Potsdamer Konferenz der Siegermächte über den Faschismus warfen die Amerikaner die ersten Atombomben.
Nach Gründung des Separatstaats BRD 1949 wurde die Bevölkerung mit antikommunistischer Hetze überschüttet. In
den Händen reaktionärer Kräfte war der Antikommunismus eine starke Waffe. Manches erinnerte bei den zügellosen und hemmungslosen
Ausfällen an Hitler und Goebbels. Thomas Mann sprach 1946 vom Antikommunismus als Grundtorheit unserer Epoche.
Die Sowjetunion und die DDR unternahmen nach 1945 viele Versuche, eine Wiedervereinigung Deutschlands auf friedliebender,
demokratischer und antifaschistischer Grundlage zu erreichen. Alle Versuche dazu wurden von den Westmächten und der BRD unter
Adenauer abgeblockt. Angebote aus der Sowjetunion und der DDR zur Einheit Deutschlands, zu gesamtdeutschen Wahlen wurden von
Adenauer abgelehnt. Ebenso das Angebot von Walter Ulbricht zur Konföderation beider deutschen Staaten. Die Antwort war:
Alleinvertretungsanspruch der BRD für ganz Deutschland. Adenauer sagte: Es geht um die Wiedergewinnung verlorener Provinzen –
nicht um Wiedervereinigung. Anstelle Gestaltungspolitik in Richtung Wiedervereinigung in den fünfziger Jahren propagierten
Strauß und Adenauer das Verlangen nach Atomwaffen. Atomwaffen, die nach Adenauer nichts weiter waren als eine Weiterentwicklung
gewöhnlicher Artilleriewaffen.
Die Gegenwehr der Bevölkerung war beträchtlich. 18 Wissenschaftler warnten im Göttinger Appell vor der Atomaufrüstung.
In Aktionen widersetzten sich Angehörige der jungen Generation der Restauration. Sie war gegen die Wiederbewaffnung und für die
Einheit Deutschlands.
Repressionen gegen Rüstungsgegner waren die Folgen. Der Jungkommunist Philipp Müller wurde anlässlich einer
Friedenskarawane in Essen 1952 von der Polizei erschossen. Politische Verfahren landauf und landab waren an der Tagesordnung.
Tausende wurden verhaftet und eingesperrt. In dieser Zeit stand ich unter Polizeiaufsicht, wurde Briefzensur gegen mich angeordnet,
erfolgten Haftbefehle, Hausdurchsuchungen und Gefängnishaft.
Weitere Maßnahmen waren:
1951 Verbot der Volksbefragung gegen Remilitarisierung und für Wiedervereinigung.
Verbot der FDJ 1951, Jupp Angenfort, Landtagsabgeordneter in NRW wurde auf offener Straße verhaftet, trotz
Immunität als Abgeordneter.
Verbotsantrag gegen die KPD 1951 und 1956 Verbot der KPD.
1958 Verbot der Volksbefragung „Kampf gegen Atomtod“.
Stichwortartig füge ich hinzu:
Es entstand ein Sozialgefälle zwischen beiden Staaten. Bei offener Grenze verlor die DDR nach Berechungen von Prof.
Bade vom Weltwirtschaftsinstitut in Kiel rund 100 Mrd. Dollar. Etwa zwei Millionen junge und gut ausgebildete Bürger der DDR
haben die DDR verlassen und zum sogenannten Wirtschaftswunder der BRD beigetragen. Zusätzlich war die DDR Alleinzahler bei
Reparationen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar geworden. Kalter Krieg tobte. Die Gefahr des Umschlags in einen heißen Krieg
wuchs ständig.
Die Kuba-Krise war hart am Rande eines Atomkrieges.
Nach Schließung der Grenzen konsolidierte sich die DDR. Erste Schritte zur Entspannung, Verhandlungen auf
unterster Stufe begannen.
1968: Neukonstituierung der DKP und Gründung der SDAJ.
1969: Gründung der GET.
Das Kapital war stark. Aber unter günstigen nationalen und internationalen Bedingungen konnten beherzte Kommunisten
sich die Legalität erkämpfen.
10. Die zweiten 20 Jahre von 1969 bis 1989
Es ist im Rückblick klar, warum die Geburtswehen der GET 20 Jahre bis 1969 dauerten.
Die Periode der Entspannung war eingetreten. Die Kräfteverhältnisse veränderten sich zu Gunsten des Friedens
und des Sozialismus.
Eine weltumspannende Friedensbewegung war gegen den Vietnamkrieg mobilisiert. Die Niederlage der USA war ein
historischer Sieg eines ehemalig-kolonialen Landes gegen die stärkste imperialistische Großmacht. Das hatte Tiefen- und Langzeitwirkung.
(Hält bis heute an. Siehe den Irakkrieg und die Isolierung der USA).
Studenten, Gewerkschaften, breite Bündnisse aus verschiedenen Schichten setzten in dieser Zeit demokratische
Reformen im Alltag durch. Zugeständnisse im Sozialbereich und Bildungswesen gehörten dazu (Lohnfortzahlung u.a.). Das Kapital
musste angesichts der Existenz der DDR Zugeständnisse im Sozialbereich machen.
Der außerparlamentarische Kampf nahm an Kraft und Bedeutung zu. Zahlreiche Besucher – besonders auch aus
sozialistischen Ländern, kamen in die Gedenkstätte. Großkundgebungen vor dem Thälmann-Haus fanden statt.
Das Anschwellen der Ostermärsche, der Krefelder Appell sind Stationen für die wachsende Friedensbewegung
in der BRD gewesen.
Friedensbewegung war: Friedensbewegung plus Kraft der Gewerkschaften, plus Kraft der SPD, plus Kraft
der DKP. In dieser Konstellation bestand ihre Stärke. Die Einsicht wuchs, dass Frieden und Sozialismus eine Einheit ist.
Bündnispolitik der KPD wurde als Taktik verleumdet. Zum Zwecke der Schwächung der Friedensbewegung wurden
Berufsverbote für Kommunisten, für kritische Studenten, Aufrüstungsgegner usw. erlassen. Millionen Bürgerinnen und Bürger
wurden verdächtigt und beschnüffelt. Exemplarisch für diese Zeit war ein Plakat mit dem Abbild einer jüngeren Bürgerin, die
ihren Mund mit einer weißen Binde verdeckte.
11. Die letzten 20 Jahre von 1989 bis 2009
Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus hatten wir es anfangs schwer. Rufe nach Schließung der GET wurden
aus den Reihen der CDU und einiger Wendehälse erhoben.
Eine Rückwende in reaktionäre Vergangenheit mit radikalem Umbau zur Zementierung der Macht des Kapitals wurde
eingeleitet. Politische Verflachung und Geschichtsfälschungen folgten. Die BRD ist mit Soldaten in Kriegseinsätzen. Der
Rüstungsetat ist enorm hoch.
Nach innen wird Terrorgefahr als Vorwand für massiven Abbau demokratischer Rechte und Kriegseinsätzen genutzt.
Hungerlöhne, Alters- und Kinderarmut sind im Anwachsen. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind an der Tagesordnung. Viele
Jugendliche haben keine Perspektive. Rentner-Generationen sind verunsichert.
Die Kehrseite ist:
Fast eine Millionen Millionäre leben in der BRD, es gibt inzwischen 112 Milliardäre.
In Hamburg wird urbaner Raum im Hafenviertel für 50.000 Hochbetuchte mit Event-Kultur, Luxuswohnungen, und
Privat-Universität errichtet. Eine 24-Stundenstadt mit Bars und Luxus-Center, einschließlich Anleger für Luxusliner – „Eintritt
nur nach Gesichtskontrolle“. Soll das die Zukunft für Hamburg sein?
Die Mehrheit der Bevölkerung erkennt die wachsende Ungerechtigkeit in unserem Land. Noch findet sie sich
damit ab. Die Betonung liegt auf „noch“. Das weiß auch die heimische Bourgeoise und bei dem Gedanken, welche Konsequenzen
daraus entstehen könnten, kommt keine Fröhlichkeit auf.
Die GET gibt Antworten auf gesellschaftliche Ursachen von Massenarbeitslosigkeit, Hungerlöhnen, Faschismus und Krieg.
Als Zeugen des Jahrhunderts können wir sagen: Die Geschichte verändert sich schnell. Immer schneller. Ich bin noch
in der Weimarer Republik zur Schule gegangen und mehrere Umbrüche in der Geschichte erlebt. Sie waren mit Hoffnungen und Gefahren
verbunden. 1989 glaubten viele, der Sozialismus habe keine Zukunft mehr. Die Kommunisten und andere Standhafte haben diese Idee
nie über Bord geworfen. Sie haben nie daran gezweifelt, dass der Sozialismus die Alternative zum Kapitalismus ist. Die Massen
müssen in allen Bereichen für den gesellschaftlichen Fortschritt gemeinsam handeln und sich mit der Idee des Sozialismus
verbinden.
Wer hätte 1989/90 gedacht, dass nach nur 17 Jahren sich möglicher Weise ein Einschnitt ankündigt. Manche sprechen
bereits vom Ende des amerikanischen Jahrhunderts –falls es dieses je gegeben hat. Stehen wir mit China, Indien und Russland vor
Kräfteveränderungen in der internationalen Politik?
Was bleibt? Nichts wird so bleiben, wie es ist. Geschichte ändert sich schnell. Das müssen wir immer
wieder sagen. Und an Erst Thälmann erinnern, der dafür gekämpft hat:
Was des Volkes Hände schaffen – soll des Volkes eigen sein.
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